Obergraben westl. Wickede

Naturschutzgebiet Obergraben westlich Wickede

Flächengröße: 47 ha
Rechtskräftig: 15.11.2002

Aktuelle Informationen

 

obergraben_lpDas Naturschutzgebiet Obergraben westlich Wickede umfasst die nördlich der Ruhrmitte und damit im Kreis Unna gelegene Ruhraue mit ihren Grünland und Waldflächen zwischen der Kreisgrenze am Wehr in Wickede und der Wasserschutzzone I der Energie- und Wasserversorgung Hamm südöstlich von Fröndenberg-Warmen.

Prägend für diesen Auenabschnitt ist die Nutzung der Wasserkraft zur Energiegewinnung. Am östlichen Gebietsrand staut ein Wehr die Ruhr, deren Hauptwassermenge von dort in einem gut einen Kilometer langen, begradigten und von alten Hybridpappeln und Erlen gesäumten Obergraben auf das Kraftwerk zugeleitet wird. Die geringe Restwassermenge durchfließt dagegen die “Alte Ruhr” im Unterlauf, die auch aufgrund der episodisch auftretenden Hochwasser in diesem Bereich weitgehend natürlich und strukturreich ausgebildet ist. Der Wasserlauf ist durch zahlreiche Kiesbänke geprägt, die in Abhängigkeit vom letzten Hochwasserereignis Schlammfluren, Rohrglanzgrasröhrichte oder bereits Weiden- oder Erlengehölzbestände aufweisen. Aufgrund des niedrigen Normalwasserstandes sind anstehende karbonische Gesteinsrippen an der Sohle der “Alten Ruhr” in Teilbereichen zeitweise freigelegt. Breite, artenreichere Hochstaudensäume in enger Verzahnung zu Rohrglanzgrasröhrichten bewachsen die flacheren Ufer, stellenweise werden diese von Erlen- und Weidenufergehölzen verdrängt, die die Entwicklung zu Auwaldbereichen einleiten. Einige kleinere Uferabschnitte sind von der Ruhr angeschnitten und bieten als Steilufer Brutraum für Eisvogel und Uferschwalbe. Unterhalb des Zusammenflusses von Obergraben und “Alter Ruhr” am Kraftwerk sind die Ruhrufer stellenweise durch Spundwände oder abgängigen Holzverbau befestigt und der Flusslauf liegt dort bereits nach kurzer Strecke wieder im Rückstau des nächsten Ruhrwehres.
Sowohl auf der von Obergraben und “Alter Ruhr” gebildeten Insel “Stövenkamp” als auch in der nordwestlich des Zusammenflusses gelegenen Aue werden die großflächigen Grünlandflächen überwiegend durch Schafe beweidet. Aufgrund der fruchtbaren braunen Auenböden ist aufgrund des langjährigen Düngeverzichts auf diesen ehemaligen Ackerstandorten in kleineren Teilbereichen – so auf einer vom Oberboden befreiten Fläche – wertvolleres, mageres Grünland ausgebildet. Neu angelegte Hecken strukturieren die Flächen dort. Am Nordrand des Gebietes sind im Warmer Löhen einige Waldbereiche naturnah ausgebildet und mit standortgerechten Hainbuchen-Stieleichengesellschaften sowie Buchenbeständen bewachsen.

Dagegen sind die Kleingehölze in der Aue und auch Abteilungen im Warmer Löhen  durch gebiets- und standortfremde Baumarten geprägt. Eine Aufforstung im Warmer Löhen auf einer ehemaligen Grünlandfläche arrondiert das Gebiet als größeren Laubwaldkomplex.

Der Kreis Unna hat gemeinsam mit dem Land NRW die zwischenzeitlich als Ackerflächen genutzten Schläge wieder in Grünland umgewandelt und dort auch umfangreiche Hecken- und Gehölzstrukturen angelegt. Das Grünland wird seitdem wieder extensiv, d. h. ohne zusätzliche Düngung und unter Verzicht auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bewirtschaftet.

Wertgebend für das Gebiet und von regionaler Bedeutung ist die strukturreiche,  typische und weitgehend vollständige Abfolge der Auen-Lebensräume im Bereich der “Alten Ruhr”, die in dieser Form im Kreis Unna nur noch ansatzweise an der westlichen Kreisgrenze zu finden ist. Die derzeit noch überformte Ruhr im Unterlauf, das extensiv bewirtschaftete Grünland und die Waldbereiche bergen ein hohes Entwicklungspotential.

Für das Gebiet hat die Renaturierung und Redynamisierung der Ruhr  verbunden mit der Wiederherstellung der Durchgängigkeit oberste Priorität, um den Wasserhaushalt der Aue wieder auszugleichen und Auen-typische Lebensräume wiederherzustellen bzw. zu fördern. Das Land NRW bzw. die Bezirksregierung Arnsberg betreibt mit Hochdruck die Umsetzung der Planungen zur Renaturierung und Redynamisierung der Ruhr in diesem Bereich, deren zukünftige Ausgestaltung man im stromaufwärts liegenden Ruhrabschnitt bei Wickede bereits besichtigen kann.

 

Zur Geschichte des Naturschutzgebietes Obergraben westlich Wickede:

Als eines der ersten Elektrizitätswerke an der hiesigen Ruhr ging 1911 das Laufwasserkraftwerk Wickede ans Stromnetz – und veränderte mit dem Bau des Wehres und des Obergrabens zur Energieerzeugung das heutige Naturschutzgebiet und dessen Umfeld tiefgreifend.

Still und im Dauerstau - der Obergraben des Laufwasserkraftwerkes, Lebensraum für Haubentaucher und Co

War bis dahin die Ruhr unreguliert und frei, ist seither der Abfluss weitgehend gesteuert, der namengebende Obergraben westlich Wickede liegt im Dauerstau-Bereich. Anders als in weiten Bereichen der übrigen Ruhr-Naturschutzgebiete ist die Alte Ruhr im Naturschutzgebiet Obergraben jedoch noch immer einer gewissen Dynamik ausgesetzt: Bei Hochwasser wird das Wickeder Wehr aufgezogen und die Alte Ruhr muss ein Vielfaches der üblichen Wassermenge aufnehmen, Trockenperioden im Sommer führen dazu, dass sich nur noch der behördlich festgelegte Mindestabfluss als Rinnsal durch das dann viel zu große, fast mediterran anmutende Flussbett schlängelt. Ohne Dauerstau lässt sich hier noch erahnen, dass die Ruhr tatsächlich zu den grobmaterialreichen Mittelgebirgsflüssen zu zählen ist – und welche Kraft der Fluss entwickeln kann bzw. was er zu transportieren in der Lage ist.

Der Aue am Obergraben erging es allerdings ganz ähnlich wie fast allen Flächen entlang der Ruhr: die Flussregulation und der Ausbau der Ufer ließen Steilwände und Kiesinseln verschwinden und ermöglichten die Trockenlegung und den Umbruch des bis dato vorherrschenden Grünlandes. Alte Flutrinnen wurden nach und nach zugeschüttet und eingeebnet, die Ackernutzung wurde zur vorherrschenden Nutzungsform. In der Folge waren die einstmals kennzeichnenden und wertgebenden Strukturelemente wie Feuchtwiesen, Auwaldrelikte und Strukturelemente des Flussbettes im heutigen NSG weitgehend verschwunden.

Grobkiesiges Flussbett der Alten Ruhr im NSG Obergraben westlich Wickede während der sommerlichen Trockenphase

2002 erfolgte dann die Wende: Der Kreis Unna stellte den Ruhrlauf und den nördlich der Ruhr gelegenen Grünland-Waldkomplex von der östlichen Kreisgrenze (dort ist die Alte Ruhr Teil des Natura 2000/FFH-Gebietes „Ruhr“) bis zum Beginn des Hammer Wasserwerkes unter Schutz.

Das Entwicklungsziel wurde aus dem historischen Vorbild abgeleitet, eine naturnahe Flussaue mit artenreichem Grünland, Eichen-Hainbuchen-Wäldern und Hochstaudenfluren soll entwickelt werden.

Ackerflächen sind in der Folge wieder als Grünland eingesät worden, mit dem dort wirtschaftendem Schäfereibetrieb wurden Pachtverträge abgeschlossen, die die Anwendung von Pestiziden und chemischen Düngern ausschließen und die Nutzungsintensität reduzieren. Erste Erfolge bestätigen den eingeschlagenen Weg. Inzwischen gibt es im Gebiet stellenweise wieder magere Weidelgras-Weißkleeweiden mit Feldhainsimse, Acker-Hornkraut und Mausohr-Habichtskraut. Auch die Vogelwelt hat sich positiv entwickelt, die angepflanzten neuen Hecken und Kopfbäume dienen jahrweise mehreren Neuntötern als Brutplatz, Dorngrasmücke, Klappergrasmücke und Goldammer sind gut vertreten.

Auf bestem Wege: artenreicheres Grünland auf ehemaligen Ackerflächen

Die aufgeforsteten Waldbereiche im Norden des Gebietes entwickeln sich zu artenreichen Eichen-Hainbuchenwäldern, die im Frühjahr vom Weiß des Buschwindröschen geprägt sind. Auch an der Ruhr – die leider während des Sommers im Schutzgebiet als Badeplatz missbraucht wird – haben sich trotz unveränderter Situation Haubentaucher und Gebirgsstelze halten können, die Uferschwalben sind 2010 aus den traditionell bewohnten Spundwänden in eine kleine Steilwand umgezogen. Das NSG beherbergt jahrweise auch eine kleine Graureiher-Kolonie, bezeichnenderweise in den sonst verfemten, deckunggebenden Fichten.

Fraglich bleibt allerdings, ob das zeitweise wilde Wasser der Ruhr auch einmal wieder in die derzeit viel zu hoch gelegenen Auenflächen eindringen wird – bis dahin ist noch viel Redynamisierung notwendig.

 


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